Nach jahrelang sinkenden Insolvenzzahlen verzeichnet Deutschland im ersten Halbjahr 2023 eine markante Trendwende. Insgesamt meldeten 8.400 Unternehmen Insolvenz an, was einem Anstieg von 16,2 Prozent im Vergleich zu den 7.230 Fällen im Vorjahreszeitraum entspricht. Besonders auffällig sind prominente Großinsolvenzen wie die von Galeria Karstadt Kaufhof, Peek & Cloppenburg, Reno und Convivo.
Laut Creditreform, dem führenden deutschen Wirtschaftsinformationsdienstleister, wurde eine solch hohe prozentuale Zunahme zuletzt im Jahr 2002 registriert. Patrick-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung, führt diesen Anstieg vor allem auf hohe Energie- und Materialpreise zurück, die die Kostenbelastungen der Unternehmen enorm erhöhen. Zudem beeinflussen die Inflation und das schlechte Konsumklima die wirtschaftliche Lage negativ.
Gründe für die Insolvenzen
Hantzsch erläutert weiter, dass die Inflation die Verbraucher verunsichere und die Kauflaune deutlich bremse. Die Rückzahlungen der Corona-Hilfen sowie nicht angepasste Geschäftsmodelle bei dauerhaft steigenden Zinsen führen viele Unternehmen in eine finanzielle Sackgasse. Besonders betroffen sind mittelgroße und große Unternehmen. Während die Insolvenzzahlen bei Großunternehmen um rund 67 Prozent über dem Vorjahreswert lagen, stiegen sie bei mittelgroßen Unternehmen sogar um 133,3 Prozent.
Auswirkungen auf die Beschäftigten
Die zunehmenden Insolvenzen wirken sich auch auf die Beschäftigten aus. Im ersten Halbjahr 2023 waren etwa 125.000 Beschäftigte von der Insolvenz ihres Arbeitgebers betroffen – fast doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum, in dem 68.000 Beschäftigte betroffen waren.
Branchenübergreifender Anstieg
In allen Hauptwirtschaftsbereichen stiegen die Insolvenzzahlen. Das verarbeitende Gewerbe verzeichnete einen Anstieg von 22,6 Prozent, der Handel von 18,5 Prozent, der Dienstleistungssektor von 16,7 Prozent und das Baugewerbe von 9,0 Prozent. Trotz des unterdurchschnittlichen Anstiegs im Baugewerbe steigen auch hier die Insolvenzen.
Veränderungen in der Unternehmensstruktur
Ein weiterer bemerkenswerter Trend ist der Anstieg der Insolvenzen bei GmbHs, deren Anteil von 37,6 auf 41,8 Prozent stieg. Im Gegensatz dazu sank der Anteil der Einzelunternehmen von 44,5 Prozent im Vorjahreszeitraum auf 40,3 Prozent.
Ausblick und Prognose
Trotz der deutlichen Zunahme bei den Insolvenzen spricht Creditreform eher von einer Normalisierung als von einer Insolvenzwelle. Für das zweite Halbjahr 2023 erwartet Creditreform einen weiteren Anstieg der Insolvenzzahlen. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bleiben durch die Inflation und die Zinswende sehr angespannt, was die Zahl der Zahlungsausfälle in den kommenden Monaten sogar noch beschleunigen könnte.
Hantzsch warnt, dass die Erhöhung des Zinsniveaus, stagnierende Erträge und preisbereinigte Umsätze die Bewältigung steigender Zinslasten erschweren. Diese Faktoren könnten die finanzielle Situation vieler Unternehmen weiter verschärfen.
Fazit
Die deutliche Zunahme der Unternehmensinsolvenzen im ersten Halbjahr 2023 markiert eine signifikante Trendwende in Deutschland. Hohe Energie- und Materialkosten, Inflationsunsicherheit und wirtschaftliche Rahmenbedingungen tragen zu dieser Entwicklung bei. Mit einem weiteren Anstieg der Insolvenzzahlen im zweiten Halbjahr ist zu rechnen, was sowohl Unternehmen als auch Beschäftigte vor große Herausforderungen stellt.